Ich bin ja großer
Fan der John Rain Reihe, die hierzulande zwar nicht gänzlich unbekannt ist,
aber gleichzeitig nie eine Marketing-Kampagne erfahren hat, die anderen
Thriller-Autoren angedeiht wird. Dabei ist John Rain wirklich ein unglaublich
interessanter Charakter und hat mehr Aufmerksamkeit verdient. Mittlerweile hat
Barry Eisler acht Romane geschrieben, in denen John Rain die Hauptrolle spielt.
Nach dem siebten Roman ließ der Autor allerdings durchklingeln, dass es
möglicherweise der letzte Auftritt war. Tatsächlich war die Handlung auch an
einem Punkt angekommen, von dem man sich kaum fortbewegen konnte. Eigentlich
kam nur noch ein möglicher Ausgang in Frage, der vermutlich weder dem Autor,
noch den Lesern wirklich behagen würde. Allerdings wäre es nur konsequent, wenn
Eisler irgendwann das Hanfseil knüpft und den letzten großen Schritt geht. Umso
erfreuter war ich, als ich mitbekam, dass Eisler einen neuen Roman in der
Pipeline hat. Der 8. Roman stand in den Startlöchern und dieses Mal sollte es
ein Prequel werden. Eine elegante Lösung, wenn man mal ehrlich ist.
John Rain ist ein
ziemlicher Antiheld, den man, wenn man es mal ein wenig distanzierter und
nüchterner betrachtet, eigentlich gar nicht so viele Sympathien entgegenbringen
dürfte. Dass man es trotzdem tut, zeigt einfach, wie genial ausgearbeitet die Hauptfigur ist. John Rain ist ein Auftragskiller, der wie ein Schatten ist. Wo er auftaucht
hinterlässt er Leichen, aber keine Spuren. Der Japaner mit amerikanischen
Wurzeln hat sich nämlich auf natürliche Tode spezialisiert. Wenn es sich
vermeiden lässt, benutzt er keine Messer oder gar Schusswaffen, sondern plant
seine Aufträge akribisch, so dass auch eine Obduktion keine Auffälligkeiten
ergibt. Doch bis Rain dort ankam, wo der Leser ihn im ersten Roman „Tokio
Killer“ („A Clean Kill in Tokyo“ ehemals „Rain Fall“) kennen gelernt hat, war
es ein langer Weg. Die ersten Schritt darf man nun in „Graveyard of Memories“
bewundern.
Die Handlung
setzt 1972 in Tokio an. John Rain ist gerade einmal 20 Jahre alt und frisch aus
dem Vietnam-Krieg zurückgekommen. Durch seine Verbindungen ist er trotzdem noch
Teil der Agentur und übernimmt eine simple Aufgabe. Zu vorgegebenen Zeiten
trifft er sich mit einer Kontaktperson und tauscht unauffällig seine leere
Tragetasche gegen eine mit 50.000 Dollar vollgestopfte Tasche aus. Das Geld
liefert er wiederum bei einem anderen Kontaktmann ab. Er hat keine Ahnung was
mit dem Geld passiert und es interessiert ihn auch nicht. Klingt einfach, ist
es an sich auch. Doch der noch junge und hitzköpfige Rain gerät mit Mitgliedern
der Yakuza in die Haare. Plötzlich findet er sich in einer prekären Situation
wieder, denn die Yakuza möchte ihn tot sehen. Die beste Verteidigung ist der
Angriff, sagt sich John Rain und geht in die Offensive. Ein Balanceakt auf
Messers Schneide nimmt seinen Anfang und nach und nach findet Rain heraus, das
mehr hinter der Sache steckt, als er zunächst angenommen hat.
Was Barry Eislers
Romane schon immer auszeichnete ist die unglaubliche Detailtreue. Der ehemalige
CIA-Agent betreibt eine intensive Recherche vor Ort und verfrachtet somit seine
fiktive Geschichte in ein überaus authentisches Setting. Wer schon einmal an
einem der Orte war, an denen seine Bücher spielen, der bemerkt schnell, wie
akribisch und genau Eisler die Umwelt einfängt. Nicht nur in simplen Beschreibungen
der Umgebung, sondern auch und gerade hinsichtlich der Atmosphäre die dort vorherrscht.
Sei es in Form der Menschen, der Geräuschkulisse oder den Gerüchen. An Details
mangelt es Eislers Romanen nie. In „Graveyard of Memories“ entführt Eisler uns
ins Tokio von 1972. Ich war zwar noch nie in Tokio oder in Japan im
Allgemeinen, noch war ich 1972 überhaupt geboren, aber Eislers Schreibstil hat
das Setting bei mir im Kopf zum Leben erweckt. Mit groben Strichen zeichnet er
ein Bild, um dann, in aller Detailversessenheit, die Details hinzuzufügen. Das
ufert ab und an mal ein wenig aus, aber es passt letztendlich auch zur Figur.
Die John Rain Romane werden nämlich aus der Ich-Perspektive der Hauptfigur
geschrieben und Rain ist ein Mann für die Details. Es sind nämlich diese
Details, die ihn am Leben halten. Gibt es Personen die sich besonders auffällig
umsehen? Oder gar Leute, die verkrampft versuchen, gar nicht aufzufallen?
Welche Wege führen in die Bar oder aus der Bar heraus? Welcher Sitzplatz bietet
den strategisch besten Überblick über das gesamte Café? Fragen über Fragen
durchfluten John Rains Kopf und bringen dem Leser seine Denkweise näher. Fragen,
über die man sich im Alltag keine Gedanken machen würde, die für den
Auftragsmörder allerdings essentiell sind.
Doch „Graveyard
of Memories“ hat noch mehr zu bieten, als Details. Das Prequel ist überaus
rasant und actiongeladen. Schusswechsel, Judo-Kämpfe, Messerattacken, aber auch
ein unauffälliger Mord finden ihren Weg in das Buch. Allerdings hat John Rain seinen Weg noch nicht
gefunden, hier ist er noch ein Mann fürs Grobe. Einer der auch mal aggressiv
und impulsiv nach vorne stürzt, sich über die Konsequenzen erst im nachhinein
Gedanken macht. So kennt man den Killer noch gar nicht, aber es sind ja auch die
ersten Gehversuche des zukünftigen Profis. Als Leser beobachtet man ihn dabei,
wie er nach und nach Erfahrungen sammelt, Informationen verwertet und Fehler
analysiert. Langsam formt sich der Charakter, dem man bereits sieben Mal über
die Schulter geguckt hat. Dadurch schleicht sich allerdings auch eine gewisse
Linearität in den Roman, der erstaunlich überraschungsarm bleibt. Wie „Tokio
Killer“, zeichnet sich auch der 8. Ableger durch eine relativ simple Handlung
aus. Erneut muss man allerdings sagen, dass es Sinn macht. Schließlich muss man
sich die Frage stellen wie tief ein simpler Handlanger, der John Rain zu dem
Zeitpunkt nun einmal ist, in den Machenschaften der amerikanischen CIA
drinstecken kann? Möchte man eine komplexere Geschichte, muss man sich ein
wenig tiefer in die Reihe einlesen, denn Eislers spätere Romane verwerten
deutlich komplexere Handlungsstränge. Bei „Graveyard of Memories“ geht es also
weniger um den Plot an sich, sondern eher um die Charakterbildung. Und die ist
gelungen.
Neben den bereits
erwähnten Action-Momenten, lässt John Rain den Leser nämlich noch an einer sehr
innigen Liebesbeziehung teilhaben. Manches Mal ein wenig sehr detailversessen,
ist dieser Part trotzdem sehr aufschlussreich in Bezug auf die Figur. Der
kalkulierte, abgebrühte Kerl, der eine Mauer zwischen sich und der Welt
aufbaut, existiert nämlich noch gar nicht. Er ist ein Produkt seiner
Vergangenheit. Seiner Erfahrungen. Es ist die konsequente Weiterentwicklung
dessen, was sein Leben ihm auferlegt hat. Denn John Rain ist kein gewissenloser
Killer, sondern jemand mit Prinzipien. Seine Ziele nimmt er ohne viel
Federlesen ins Visier, doch handelt er stets nach einer gewissen Moral. Frauen
und Kinder sind tabu, Kollateralschaden nimmt er keinen in Kauf. Diese
Entwicklung kam nicht von heute auf morgen, aber ihre Anfänge sehen wir in „Graveyard
of Memories“.
Das Buch ist
schnell gelesen, wie eigentlich alle Romane Eislers. Mit 322 Seiten ist es auch
kein sonderlich umfangreicher Roman, dafür gibt es aber auch keinen Leerlauf.
Alles passiert Schlag auf Schlag. Eisler gibt sich abwechslungsreich und
gewährt tiefe Einblicke in John Rains Gefühlswelt. Doch auch wenn es ein Prequel
ist, macht es durchaus Sinn den Roman als Letztes zu lesen. Zwar benötigt man
keine wirklichen Vorkenntnisse, aber mit diesen werden die Unterschiede
zwischen den beiden John Rains klarer, die man kennenlernen durfte. Ich hoffe
sehr, dass Barry Eisler weitere Romane mit John Rain füllt, aber bitte in der
gleichbleibenden Qualität. Geschichten der Geschichten wegen brauche ich keine,
dafür ist mir der Charakter zu sehr ans Herz gewachsen und dafür steht Eisler
in meinen Augen auch zu sehr für durchdachte Unterhaltung. Ich bin aber
zuversichtlich, dass Eisler ohnehin nicht vom Kommerz getrieben wird, sondern
von der Leidenschaft und der Sinnhaftigkeit seiner Geschichten. Wenn er der
Meinung ist, dass John Rain noch etwas zu erzählen hat, dann wird er einen
weiteren Roman abliefern. Solange müssen wir wohl mit dem Vorlieb nehmen, was
er bereits geschrieben hat. Bis dahin Sayōnara, John Rain.
Abschließend noch einmal die Links zum Buch:
- das englische Taschenbuch für 11,99.
- die englische digitale Ausgabe für 4,99.
Mehr über den Autor könnt ihr in seinem Blog erfahren, auch seine Homepage ist extrem hilfreich, wenn es darum geht seine Arbeit ein wenig besser kennenzulernen: http://barryeisler.blogspot.de/
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- das englische Taschenbuch für 11,99.
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