Dienstag, 18. Februar 2014

Graveyard of Memories – Barry Eisler


Ich bin ja großer Fan der John Rain Reihe, die hierzulande zwar nicht gänzlich unbekannt ist, aber gleichzeitig nie eine Marketing-Kampagne erfahren hat, die anderen Thriller-Autoren angedeiht wird. Dabei ist John Rain wirklich ein unglaublich interessanter Charakter und hat mehr Aufmerksamkeit verdient. Mittlerweile hat Barry Eisler acht Romane geschrieben, in denen John Rain die Hauptrolle spielt. Nach dem siebten Roman ließ der Autor allerdings durchklingeln, dass es möglicherweise der letzte Auftritt war. Tatsächlich war die Handlung auch an einem Punkt angekommen, von dem man sich kaum fortbewegen konnte. Eigentlich kam nur noch ein möglicher Ausgang in Frage, der vermutlich weder dem Autor, noch den Lesern wirklich behagen würde. Allerdings wäre es nur konsequent, wenn Eisler irgendwann das Hanfseil knüpft und den letzten großen Schritt geht. Umso erfreuter war ich, als ich mitbekam, dass Eisler einen neuen Roman in der Pipeline hat. Der 8. Roman stand in den Startlöchern und dieses Mal sollte es ein Prequel werden. Eine elegante Lösung, wenn man mal ehrlich ist.

John Rain ist ein ziemlicher Antiheld, den man, wenn man es mal ein wenig distanzierter und nüchterner betrachtet, eigentlich gar nicht so viele Sympathien entgegenbringen dürfte. Dass man es trotzdem tut, zeigt einfach, wie genial ausgearbeitet die Hauptfigur ist. John Rain ist ein Auftragskiller, der wie ein Schatten ist. Wo er auftaucht hinterlässt er Leichen, aber keine Spuren. Der Japaner mit amerikanischen Wurzeln hat sich nämlich auf natürliche Tode spezialisiert. Wenn es sich vermeiden lässt, benutzt er keine Messer oder gar Schusswaffen, sondern plant seine Aufträge akribisch, so dass auch eine Obduktion keine Auffälligkeiten ergibt. Doch bis Rain dort ankam, wo der Leser ihn im ersten Roman „Tokio Killer“ („A Clean Kill in Tokyo“ ehemals „Rain Fall“) kennen gelernt hat, war es ein langer Weg. Die ersten Schritt darf man nun in „Graveyard of Memories“ bewundern.

Die Handlung setzt 1972 in Tokio an. John Rain ist gerade einmal 20 Jahre alt und frisch aus dem Vietnam-Krieg zurückgekommen. Durch seine Verbindungen ist er trotzdem noch Teil der Agentur und übernimmt eine simple Aufgabe. Zu vorgegebenen Zeiten trifft er sich mit einer Kontaktperson und tauscht unauffällig seine leere Tragetasche gegen eine mit 50.000 Dollar vollgestopfte Tasche aus. Das Geld liefert er wiederum bei einem anderen Kontaktmann ab. Er hat keine Ahnung was mit dem Geld passiert und es interessiert ihn auch nicht. Klingt einfach, ist es an sich auch. Doch der noch junge und hitzköpfige Rain gerät mit Mitgliedern der Yakuza in die Haare. Plötzlich findet er sich in einer prekären Situation wieder, denn die Yakuza möchte ihn tot sehen. Die beste Verteidigung ist der Angriff, sagt sich John Rain und geht in die Offensive. Ein Balanceakt auf Messers Schneide nimmt seinen Anfang und nach und nach findet Rain heraus, das mehr hinter der Sache steckt, als er zunächst angenommen hat.



Was Barry Eislers Romane schon immer auszeichnete ist die unglaubliche Detailtreue. Der ehemalige CIA-Agent betreibt eine intensive Recherche vor Ort und verfrachtet somit seine fiktive Geschichte in ein überaus authentisches Setting. Wer schon einmal an einem der Orte war, an denen seine Bücher spielen, der bemerkt schnell, wie akribisch und genau Eisler die Umwelt einfängt. Nicht nur in simplen Beschreibungen der Umgebung, sondern auch und gerade hinsichtlich der Atmosphäre die dort vorherrscht. Sei es in Form der Menschen, der Geräuschkulisse oder den Gerüchen. An Details mangelt es Eislers Romanen nie. In „Graveyard of Memories“ entführt Eisler uns ins Tokio von 1972. Ich war zwar noch nie in Tokio oder in Japan im Allgemeinen, noch war ich 1972 überhaupt geboren, aber Eislers Schreibstil hat das Setting bei mir im Kopf zum Leben erweckt. Mit groben Strichen zeichnet er ein Bild, um dann, in aller Detailversessenheit, die Details hinzuzufügen. Das ufert ab und an mal ein wenig aus, aber es passt letztendlich auch zur Figur. Die John Rain Romane werden nämlich aus der Ich-Perspektive der Hauptfigur geschrieben und Rain ist ein Mann für die Details. Es sind nämlich diese Details, die ihn am Leben halten. Gibt es Personen die sich besonders auffällig umsehen? Oder gar Leute, die verkrampft versuchen, gar nicht aufzufallen? Welche Wege führen in die Bar oder aus der Bar heraus? Welcher Sitzplatz bietet den strategisch besten Überblick über das gesamte Café? Fragen über Fragen durchfluten John Rains Kopf und bringen dem Leser seine Denkweise näher. Fragen, über die man sich im Alltag keine Gedanken machen würde, die für den Auftragsmörder allerdings essentiell sind.

Doch „Graveyard of Memories“ hat noch mehr zu bieten, als Details. Das Prequel ist überaus rasant und actiongeladen. Schusswechsel, Judo-Kämpfe, Messerattacken, aber auch ein unauffälliger Mord finden ihren Weg in das Buch.  Allerdings hat John Rain seinen Weg noch nicht gefunden, hier ist er noch ein Mann fürs Grobe. Einer der auch mal aggressiv und impulsiv nach vorne stürzt, sich über die Konsequenzen erst im nachhinein Gedanken macht. So kennt man den Killer noch gar nicht, aber es sind ja auch die ersten Gehversuche des zukünftigen Profis. Als Leser beobachtet man ihn dabei, wie er nach und nach Erfahrungen sammelt, Informationen verwertet und Fehler analysiert. Langsam formt sich der Charakter, dem man bereits sieben Mal über die Schulter geguckt hat. Dadurch schleicht sich allerdings auch eine gewisse Linearität in den Roman, der erstaunlich überraschungsarm bleibt. Wie „Tokio Killer“, zeichnet sich auch der 8. Ableger durch eine relativ simple Handlung aus. Erneut muss man allerdings sagen, dass es Sinn macht. Schließlich muss man sich die Frage stellen wie tief ein simpler Handlanger, der John Rain zu dem Zeitpunkt nun einmal ist, in den Machenschaften der amerikanischen CIA drinstecken kann? Möchte man eine komplexere Geschichte, muss man sich ein wenig tiefer in die Reihe einlesen, denn Eislers spätere Romane verwerten deutlich komplexere Handlungsstränge. Bei „Graveyard of Memories“ geht es also weniger um den Plot an sich, sondern eher um die Charakterbildung. Und die ist gelungen.

Neben den bereits erwähnten Action-Momenten, lässt John Rain den Leser nämlich noch an einer sehr innigen Liebesbeziehung teilhaben. Manches Mal ein wenig sehr detailversessen, ist dieser Part trotzdem sehr aufschlussreich in Bezug auf die Figur. Der kalkulierte, abgebrühte Kerl, der eine Mauer zwischen sich und der Welt aufbaut, existiert nämlich noch gar nicht. Er ist ein Produkt seiner Vergangenheit. Seiner Erfahrungen. Es ist die konsequente Weiterentwicklung dessen, was sein Leben ihm auferlegt hat. Denn John Rain ist kein gewissenloser Killer, sondern jemand mit Prinzipien. Seine Ziele nimmt er ohne viel Federlesen ins Visier, doch handelt er stets nach einer gewissen Moral. Frauen und Kinder sind tabu, Kollateralschaden nimmt er keinen in Kauf. Diese Entwicklung kam nicht von heute auf morgen, aber ihre Anfänge sehen wir in „Graveyard of Memories“.

Das Buch ist schnell gelesen, wie eigentlich alle Romane Eislers. Mit 322 Seiten ist es auch kein sonderlich umfangreicher Roman, dafür gibt es aber auch keinen Leerlauf. Alles passiert Schlag auf Schlag. Eisler gibt sich abwechslungsreich und gewährt tiefe Einblicke in John Rains Gefühlswelt. Doch auch wenn es ein Prequel ist, macht es durchaus Sinn den Roman als Letztes zu lesen. Zwar benötigt man keine wirklichen Vorkenntnisse, aber mit diesen werden die Unterschiede zwischen den beiden John Rains klarer, die man kennenlernen durfte. Ich hoffe sehr, dass Barry Eisler weitere Romane mit John Rain füllt, aber bitte in der gleichbleibenden Qualität. Geschichten der Geschichten wegen brauche ich keine, dafür ist mir der Charakter zu sehr ans Herz gewachsen und dafür steht Eisler in meinen Augen auch zu sehr für durchdachte Unterhaltung. Ich bin aber zuversichtlich, dass Eisler ohnehin nicht vom Kommerz getrieben wird, sondern von der Leidenschaft und der Sinnhaftigkeit seiner Geschichten. Wenn er der Meinung ist, dass John Rain noch etwas zu erzählen hat, dann wird er einen weiteren Roman abliefern. Solange müssen wir wohl mit dem Vorlieb nehmen, was er bereits geschrieben hat. Bis dahin Sayōnara, John Rain.


Abschließend noch einmal die Links zum Buch:
- das englische Taschenbuch für 11,99.  
- die englische digitale Ausgabe für 4,99

Mehr über den Autor könnt ihr in seinem Blog erfahren, auch seine Homepage ist extrem hilfreich, wenn es darum geht seine Arbeit ein wenig besser kennenzulernen: http://barryeisler.blogspot.de/



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